"Für Anerkennung und Würdigung kämpfen“ mit der SED-Opferbeauftragten Evelyn Zupke

Shownotes

Im Interview-Podcast von mitmischen.de, dem Jugendportal des Deutschen Bundestages, erklären Abgeordnete, Amtsträgerinnen und -träger sowie Mitarbeitende, was ihre Aufgaben im Parlament sind.

Seit 2021 ist Evelyn Zupke die SED-Opferbeauftragte des Bundes. Im Podcast berichtet sie davon, wie sie sich für die Opfer der SED-Diktatur einsetzt, welche politischen Maßnahmen während ihrer Amtszeit bereits umgesetzt werden konnten und was für Gesetzesänderungen weiterhin notwendig sind. Außerdem erzählt sie, warum sie am 9. November 1989 den entscheidenden Satz zur Maueröffnung verschlafen hat.

Glossar zur Folge

Opferrente Die SED-Opferrente ist eine monatliche Zuwendung, die jeder beantragen kann, der in der DDR mindestens 90 Tage rechtsstaatswidrigen Freiheitsentzug erlitten hat. Eine Voraussetzung für die Bewilligung der Rente ist, dass der Betroffene strafrechtlich rehabilitiert wurde oder eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegesetzes erhalten hat. Ausgeschlossen von der Opferrente ist, wer in der DDR mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet hat oder rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Ombudsperson Eine Ombudsperson nimmt die Rolle eines neutralen Vermittlers oder eines Schlichters ein.

Jugendwerkhöfe Die sogenannten Jugendwerkhöfe waren Erziehungsheime, die von der Außenwelt weitgehend isoliert waren. In ihnen wurden straffällig gewordene und sogenannte erziehungsschwierige Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren untergebracht, die dort im Sinne der SED zu „politisch-ideologisch gefestigten“, „charakterlich stabilen“ und „lebenstüchtigen“ Menschen umerzogen werden sollten. Dies sollte mittels strikter Regeln und einer rigiden Kontrolle, militärischer Gepflogenheiten, straffer Zeitpläne, harter körperlicher Arbeit, brutaler Strafen und vor allem des Ein- und Unterordnens im Interesse des Kollektivs geschehen. Mehr Informationen zur Heimerziehung in der DDR findet ihr hier.

Hoheneck Hoheneck war das größte Frauengefängnis in der DDR und ist heute eine Gedenkstätte. Der Begriff „Hoheneckerinnen“ wurde zum Synonym für aus politischen Gründen inhaftierte Frauen in der DDR.

Politische Häftlinge in der DDR Strafvollzug war eine tragende Säule der SED-Diktatur. Hunderttausende Menschen wurden in der DDR inhaftiert, da sie aufgrund ihrer religiösen oder politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht als Gegner des politischen Systems gewertet wurden. Die DDR-Behörden leugneten die Existenz politischer Häftlinge in der DDR.

Zwangsaussiedlungen Im Juni 1952 und im Oktober 1961 fanden von der SED-Führung angeordnete Zwangsaussiedlungsaktionen an der innerdeutschen Grenze statt, um die Grenze zu festigen und das Gebiet von als politisch unzuverlässig eingeschätzten Personen zu befreien. Rund 12.000 Menschen verloren so gewaltsam ihr Zuhause. Auch nach 1961 fanden immer wieder vereinzelte Zwangsaussiedlungen statt, um das Grenzsperrgebiet bevölkerungsfrei zu machen und ein freies Sicht- und Schussfeld zu schaffen.

Transkript anzeigen

00:00:03: Mitmischen.

00:00:04: Dein Podcast aus dem Bundestag.

00:00:09: Nicole: Hallo liebe Hörerinnen und Hörer, willkommen

00:00:11: beim Podcast von mitmischen.de, dem Jugendportal des Deutschen Bundestages.

00:00:15: Wir sprechen hier mit Menschen, die uns erzählen, was sie im Bundestag tun,

00:00:18: damit ihr besser verstehen könnt, wie das Parlament funktioniert.

00:00:21: Ich bin Nicole und darf heute Evelyn Zupke begrüßen.

00:00:24: Sie ist seit 2021 die SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag.

00:00:29: Was das genau heißt, für wen sie sich einsetzt und was sie

00:00:32: in den vergangenen drei Jahren erreicht hat, kann ich sie jetzt fragen.

00:00:35: Frau Zupke, herzlich willkommen!

00:00:36: Evelyn Zupke: Danke für die Einladung.

00:00:38: Nicole: Ich habe es gerade gesagt: Sie sind seit Juni 2021

00:00:41: SED-Opferbeauftragter beim Deutschen Bundestag.

00:00:44: Können Sie uns erklären, was das heißt,

00:00:46: SED-Opferbeauftragte, und was Ihre Aufgaben sind?

00:00:50: Evelyn Zupke: Ja, als erste SED-Opferbeauftragte habe ich einen gesetzlichen Auftrag,

00:00:54: der im Kern die Aufgabe beinhaltet, als Ombudsperson zwischen den Anliegen

00:01:00: der Opfer der SED-Diktatur und der Politik,

00:01:03: also den Abgeordneten im Bundestag, tätig zu sein.

00:01:07: Was ist ein SED-Opfer?

00:01:09: Also es gab ja in der SED-Diktatur circa 250.000 Menschen,

00:01:14: die in politischer Haft gesessen haben, 138.000 Kinder und Jugendliche,

00:01:19: die in Spezial-Kinderheimen und Jugendwerkhöfen eingesperrt waren.

00:01:22: Und es gab noch diverse andere Repressionsmaßnahmen.

00:01:26: Und ganz viele von diesen Menschen leben ja noch.

00:01:28: Und wir sind hier in Deutschland in der Situation,

00:01:31: dass wir auch seit Anfang der 90er sehr gute Rehabilitierungsgesetze haben.

00:01:36: Aber die müssen

00:01:36: natürlich immer wieder angepasst werden, weil sich neue Bedarfe ergeben,

00:01:40: manchmal auch neue Opfergruppen, weil die Forschung auch voranschreitet.

00:01:44: Und dies der Politik zu vermitteln und gleichzeitig auch zu beraten:

00:01:49: Wo liegen hier die Bedarfe?

00:01:50: Warum ist das so?

00:01:51: Dafür zu kämpfen, mich einzusetzen, das ist meine Hauptaufgabe.

00:01:55: Natürlich beinhaltet mein gesetzlicher Auftrag

00:01:58: auch noch andere Dinge, wie zum Beispiel auch mit dazu beizutragen

00:02:01: zur Vermittlung der unterschiedlichen biografischen Erfahrung zurzeit

00:02:05: der deutschen Teilung, das heißt mit Menschen zu sprechen,

00:02:08: in der Öffentlichkeit zu wirken und sichtbar zu sein für diese Thematik.

00:02:13: Wir sind jetzt gerade in einer Phase,

00:02:15: wo erneut die sogenannten Unrechtsbereinigungsgesetze

00:02:19: novelliert werden.

00:02:20: Das ist auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben

00:02:22: zum Glück, wie auch andere Dinge.

00:02:25: Und hier gibt es zum Beispiel Themen wie

00:02:28: die gesundheitliche Situation der Menschen.

00:02:31: Viele der von Repression betroffenen Menschen leiden

00:02:35: heute unter den verfolgungssbedingten Gesundheitsschäden.

00:02:37: Nicole: Sie haben eben gesagt, dass auch immer neue Opfergruppen dazukommen,

00:02:41: weil die Forschung weitergeht. Ist das so ein Beispiel?

00:02:44: Also das gesundheitliche Spätfolgen, dass man da das erst spät

00:02:48: erkannt hat, dass das auch Opfer der SED-Diktatur sind?

00:02:51: Evelyn Zupke: Die Gruppe als solche ist eigentlich schon seit Anbeginn identifiziert,

00:02:56: weil es ist ja keine

00:02:58: extra Gruppe in dem Sinne, sondern ganz viele Menschen,

00:03:01: die von der Repression betroffen waren, egal in welcher Form,

00:03:04: leiden heute an Gesundheitsschäden.

00:03:06: Aber die Forschung ist natürlich heute sehr viel weiter als noch vor 20,

00:03:10: 30 Jahren.

00:03:11: Und aktuelle Studien aus der Charité zum Beispiel, die zeigen auch auf,

00:03:15: dass die Menschen signifikant höher von psychischen Erkrankungen betroffen

00:03:20: sind, aber auch von körperlichen Erkrankungen,

00:03:22: beispielsweise durch die Haft-Zwangsarbeit.

00:03:25: Und da haben wir eben diese fatale Situation,

00:03:28: dass die allermeiste Anzahl der Menschen mit ihren Anträgen scheitern,

00:03:31: was einen großen Leidensdruck erzeugt und und vor allem

00:03:34: die Menschen sterben ja auch.

00:03:36: Natürlich, die werden immer älter, sodass es jetzt wirklich

00:03:39: ein Gebot der Stunde ist hier für die Politik, zu handeln.

00:03:42: Nicole: Das wäre auch die nächste Frage gewesen, was ihr wichtigstes Anliegen ist.

00:03:47: Evelyn Zupke: Also das Wichtigste, glaube ich, habe ich gerade genannt,

00:03:49: das mit der Verbesserung bei der Bewilligung und Anerkennung

00:03:53: der verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden.

00:03:55: Das wird mir auch von den Betroffenen und von den Opferverbänden,

00:03:57: den Landesbeauftragten und dergleichen rückgemeldet.

00:04:00: Hier habe ich der Politik einen konkreten Vorschlag gemacht für eine Vereinfachung.

00:04:04: Wir werden sehen.

00:04:06: Das Gesetz ist in der Welt, befindet sich jetzt aktuell

00:04:10: im parlamentarischen Verfahren.

00:04:12: Die erste Lesung hat es schon gegeben und ich rechne damit,

00:04:15: dass wir bis zum Ende des Jahres dann ein anderes Gesetz haben werden.

00:04:20: Es ist ja so, dass kein Gesetz so rauskommt, wie es reingeht,

00:04:23: und da gehe ich davon aus, dass wir dort Verbesserungen erreichen. Andere Dinge

00:04:27: neben den Gesundheitsschäden wären die Opferrente.

00:04:31: Es gibt ja für Menschen,

00:04:32: die von Freiheitsentzug betroffen waren, also politische Häftlinge,

00:04:36: Jugendliche, die im Jugendwerkhof saßen,

00:04:38: gibt es die sogenannte Zuwendung

00:04:40: nach Paragraf 17, also im Volksmund „Opferrente”.

00:04:44: Und die soll jetzt nach dem jetzigen Gesetz dynamisiert werden.

00:04:48: Was ich sehr, sehr gut finde. Soll an die Rentenentwicklung angepasst werden.

00:04:53: Also steigen die Renten, steigt auch die Opferrente.

00:04:55: Das ist ein überzeugendes Konzept, aber es hat einen großen Haken, die,

00:05:00: wenn man das jetzt aufnimmt, also vor fünf Jahren, wurde die Opferrente

00:05:04: das letzte Mal angepasst, von 300 auf 330 €.

00:05:07: Wenn man jetzt im nächsten Jahr die Rente – da soll es einsetzen –

00:05:10: die Rentenentwicklung nimmt und diese anpasst, werden

00:05:13: die Opfer allerhöchstens 15 € mehr kriegen und das nach 15 Jahren.

00:05:17: Das ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel,

00:05:19: sodass für mich vor der Dynamisierung auf jeden Fall eine Erhöhung ansteht.

00:05:23: Wir haben noch andere Opfergruppen.

00:05:24: Wir haben noch die Gruppe der Zwangsausgesiedelten.

00:05:27: Das sind die Menschen, die ab dem

00:05:30: 26. Mai 1952, das war die erste Aktion, die sogenannte „Aktion Ungeziefer”

00:05:35: im Rahmen des Ausbaus der deutschen Grenze lange vor dem

00:05:40: 13. August 1961 in Berlin.

00:05:42: Dort wurden ja politisch unliebsame Menschen

00:05:45: von Haus und Hof gejagt, ihres Eigentums beraubt.

00:05:48: Und diese Menschen haben noch keine wirkliche Würdigung,

00:05:51: Anerkennung auf dieser Ebene erfahren.

00:05:54: Und dafür kämpfen wir auch.

00:05:56: Nicole: Gibt es eine Gruppe,

00:05:56: die bis heute besonders hart darum kämpfen muss, als Opfergruppe anerkannt zu werden

00:06:01: und für die Rehabilitierung oder Entschädigung eben besonders hart kämpfen muss?

00:06:06: Evelyn Zupke: Also dazu würde ich schon die Gruppe der Zwangsausgesiedelten zählen.

00:06:09: Sie bekommen zwar eine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung

00:06:13: für, ja für das, was ihnen widerfahren ist.

00:06:17: Nicole: Was heißt das?

00:06:17: Evelyn Zupke: Das heißt,

00:06:18: wir haben in den Unrechtsbereinigungsgesetzen

00:06:19: gibt es verschiedene Rehabilitierungsgesetze. Das strafrechtliche

00:06:24: Rehabilitierungsgesetz, was eben für freiheitsentziehende Maßnahmen

00:06:28: bestimmt ist, wo die Leute dann diese Opferrente bekommen.

00:06:31: Wir haben das verwaltungsrechtliche, wenn im Verwaltungsakt, wenn nachgewiesen

00:06:35: werden kann, dort ist verwaltungstechnisch Unrecht geschehen.

00:06:40: Oder berufliche, das berufliche Rehabilitierungsgesetz.

00:06:43: Wir haben ja mehr als 100.000 auch Menschen, die von beruflicher Verfolgung

00:06:47: betroffen waren.

00:06:48: Das heißt, die sind entweder nicht zum Abitur oder zum Studium zugelassen

00:06:52: worden aus politischen Gründen, oder sind geflogen

00:06:56: von der Schule oder von der Hochschule, Universität aus politischen Gründen.

00:07:01: Und auch diese Menschen bekommen bestimmte Formen von Rehabilitierung.

00:07:05: Bei den Zwangsausgesiedelten ist es aber so, dass sie, glaube ich,

00:07:08: für dieses – das ist ja eine individuelle politische Verfolgung gewesen.

00:07:13: Es war ja kein Kollektiv-Schicksal. Und sie wurden aus,

00:07:17: weil sie politisch unliebsam waren,

00:07:20: wurden sie dort zwangsausgesiedelt und vertrieben.

00:07:24: Und dafür brauchen sie, glaube ich, eine Anerkennung,

00:07:26: die zum Beispiel in einer Einmalzahlung sich widerspiegeln könnte.

00:07:30: Das ist auch vorgesehen im Gesetz.

00:07:32: Diesmal, nach vielen, vielen Jahren, ist das endlich gelungen.

00:07:35: Aber die Höhe von 1.500 € ist halt noch sehr gering.

00:07:38: Wir haben auch noch die Gruppe

00:07:39: der Betroffenen des DDR-Staatszwangs-Dopings,

00:07:43: die als Minderjährige gedopt wurden zum Beispiel, also unwissend.

00:07:48: Auch die Eltern wussten es oft nicht und die sozusagen

00:07:51: den Medaillenhunger des SED-Regimes gnadenlos geopfert wurden.

00:07:55: Das ist auch nach eine Gruppe, für die wir auch noch Unterstützung

00:07:58: erreichen müssten.

00:07:59: Nicole: Wie genau kümmern Sie sich denn um diese Anliegen, die ja vielfältig sind,

00:08:03: wie Sie jetzt beschrieben haben?

00:08:04: Evelyn Zupke: Es ist sehr vielfältig, sehr komplex.

00:08:06: Ich arbeite mit ganz verschiedenen Menschen zusammen, also die Betroffenen,

00:08:10: die Opferverbände, die Opfergruppen, mit den Abgeordneten natürlich.

00:08:15: Das ist ja auch mein Auftrag, zwischen beiden zu wirken.

00:08:19: Ich bin in Ausschüssen oft geladen zu bestimmten Fragen.

00:08:23: Ich fahre auch zu Bundestagsabgeordneten in die Wahlkreise,

00:08:26: mache dort Veranstaltungen zum Beispiel mit Schülern.

00:08:29: Und Politiker wenden sich auch an mich.

00:08:32: Die bekommen ja auch viel Post von Bürgern, unter anderem auch mit dieser Thematik.

00:08:37: Und ein Abgeordneter, eine Abgeordnete kann natürlich nicht in der ganzen Breite

00:08:41: mit allem vertraut sein,

00:08:42: sodass ich dann auch dort beratend tätig werde, wenn das gewünscht ist.

00:08:46: Also da besteht eine gute Zusammenarbeit. Und ja, mit einzelnen Betroffenen,

00:08:52: da bekommen wir schon auch bergeweise Post, würde ich sagen.

00:08:55: Natürlich habe ich auch Mitarbeiter.

00:08:58: Ich mache das Amt ja nicht alleine, ich habe ein sehr gutes Team,

00:09:01: die das dann auch erst mal in erster Instanz bearbeiten, sichten

00:09:04: und wir dann gemeinsam entscheiden: Wie gehen wir mit diesem Anliegen um?

00:09:07: Mit jenem Anliegen um? Mit wem spreche ich persönlich?

00:09:11: Ich treffe eben auch einzelne Menschen persönlich.

00:09:13: Ich bin auch viel im Land unterwegs.

00:09:15: Ich bin an vielen Gedenkstätten, ich bin zu Veranstaltungen, wenn,

00:09:20: wenn Jubiläen sind oder beziehungsweise Gedenkveranstaltungen.

00:09:24: Und am Rande dieser Veranstaltungen – Kongresse auch viel

00:09:27: von den Opferverbänden – treffe ich mich auch mit Leuten.

00:09:30: Und die Opferverbände brauchen sich als Verbände

00:09:33: gar nicht so bei mir melden, weil wir haben einen regelmäßigen Austausch

00:09:37: und wenn zwischendurch mal was ist, geht das auf einem total kurzen Dienstweg.

00:09:41: Natürlich könnt ich jetzt viele einzelne Dinge auch nennen,

00:09:44: aber mir fällt ein, Hoheneck ist jetzt in der Bundesförderung,

00:09:47: was sicherlich auch mit dem Amt auf Bundesebene zu tun hat.

00:09:51: Ich war zusammen mit der Kulturministerin Claudia Roth dort, was sicherlich

00:09:55: auch sehr zur Würdigung für die Frauen von Hoheneck beigetragen hat.

00:10:00: Und es ist jetzt erreicht worden...

00:10:02: Nicole: Könnten Sie einmal sagen...

00:10:03: Evelyn Zupke: Hoheneck ist das berüchtigtste Frauengefängnis

00:10:06: in der ehemaligen DDR

00:10:08: gewesen, wo 8000 Frauen politisch inhaftiert

00:10:12: wurden, viele wegen Fluchtversuchen oder wegen Denunzierung.

00:10:17: Also ja, alle möglichen ihnen vorgeworfenen Dinge.

00:10:21: Und dort herrschten wirklich schlimme Zustände. In allen DDR-Gefängnissen

00:10:26: herrschten schlimme Zustände, gerade für die politisch Gefangenen eben.

00:10:30: Aber dort litten die Frauen ja auch

00:10:33: also ständig an Hunger, an Kälte, an Nässe.

00:10:36: Sie haben in Dunkelhaft gesessen, in einer Einzelzelle, in der Wasserzelle,

00:10:40: waren getrennt von ihren Kindern und Familien.

00:10:43: Und gerade die Frauen haben

00:10:44: da, glaube ich, noch mal so eine ganz besondere Dimension des Leides.

00:10:47: Und deswegen bin ich sehr froh, dass Hoheneck dieses Jahr

00:10:51: in die Bundesförderung gekommen ist und unser Bundespräsident,

00:10:54: Herr Steinmeier, diese Gedenkstätte im Juli eröffnet hat.

00:10:58: Also das würde ich schon als einen großen Erfolg verbuchen.

00:11:01: Das vielleicht als Einzelbeispiel.

00:11:02: Ansonsten sind diese Dinge mit den Gesetzen ja,

00:11:05: das ist ja der größte Hebel sozusagen für die Gruppe

00:11:08: der Menschen, für die ich gewählt bin und tätig bin.

00:11:11: Ist das der größte Hebel, um ihre Situation zu verbessern

00:11:14: und auch die Anerkennung und die Würdigung. Denn das ist auch immer,

00:11:18: eine Unterstützungsleistung ist immer verbunden auch mit Würdigung

00:11:21: und Anerkennung.

00:11:23: Und dass das jetzt nach drei Jahren nun endlich so eingegossen

00:11:26: ist, dass wir, glaube ich, Ende des Jahres dann ein gutes Gesetz haben werden,

00:11:30: das hoffe ich sehr.

00:11:31: Also das ist das Herzstück meiner bisherigen Tätigkeit.

00:11:34: Nicole: Sie haben ja auch noch anderthalb Jahre im Amt in dieser ersten Amtszeit.

00:11:38: Haben Sie konkrete Projekte, die Sie sich vorgenommen haben, noch für diese Zeit?

00:11:42: Evelyn Zupke: Also sicherlich wird auch bei diesem Gesetz, was jetzt rauskommt, denke ich

00:11:45: mal, werden noch Dinge übrig bleiben, für die es weiter zu kämpfen gilt.

00:11:49: Da muss man gucken: Wo findet man noch Resonanz in der Politik dafür?

00:11:53: Was ist wichtig für die Menschen?

00:11:55: Was muss, auch wenn es jetzt nicht drin ist, weiter –

00:11:58: wofür muss weiter gekämpft werden?

00:12:00: Das BMBF, also das Bundesministerium für Forschung und Bildung,

00:12:03: legt 2026 noch mal ein Programm auf zu DDR-Forschung.

00:12:09: Und da würde ich mir wünschen, dass die Themen, die jetzt noch nicht so

00:12:13: ausreichend Beachtung gefunden haben,

00:12:16: noch weiter oder überhaupt erst einmal erforscht werden.

00:12:18: Und dass auch die Themen, die schon in der letzten Förderphase

00:12:22: Beachtung gefunden haben, wie zum Beispiel die Erforschung der verfolgungsbedingten

00:12:26: Gesundheitsschäden, da kann man noch viel mehr tun.

00:12:29: Also das würde ich auch gerne sehr eng begleiten,

00:12:34: welche Projekte, welche Forschung dort noch mal auch weiterkommen könnten.

00:12:41: Nicole: Wird nicht langweilig, würde ich mal vorsichtig sagen.

00:12:43: Evelyn Zupke: Das mit Sicherheit nicht. Mir würde bestimmt noch mehr einfallen.

00:12:47: Nicole: Da wirkt jetzt die

00:12:47: nächste Frage fast komisch, aber ich habe es mich einfach gefragt:

00:12:51: Wir haben gerade 34 Jahre deutsche Einheit gefeiert

00:12:54: und mich würde da Ihre Prognose interessieren.

00:12:57: Es ist sozusagen

00:12:57: ja ohnehin jetzt erst die erste Amtszeit einer SED-Opferbeauftragten.

00:13:01: Aber wie lange wird die Arbeit in diesem Amt noch nötig sein?

00:13:05: Also schön wäre ja,

00:13:06: wenn Sie jetzt sagen könnten: Nicht mehr lange, aber es klingt anders.

00:13:10: Evelyn Zupke: Also das würde ich auch wirklich nicht sagen.

00:13:12: Also ich weiß,

00:13:13: dass Sie die Frage nicht so meinen, aber sie wurde ja auch oft gestellt

00:13:16: und dass man sagt: Aber Frau Zupke, braucht man so ein Amt denn jetzt noch?

00:13:20: Also schon

00:13:21: vor drei Jahren wurde das gesagt und vielleicht

00:13:23: sind die Stimmen jetzt etwas leiser geworden.

00:13:25: Ich weiß es nicht. Kann es auch verstehen, wenn man damit nicht so viel zu tun hat und

00:13:28: sagt: Aber jetzt ist doch mal gut, jetzt noch mal

00:13:30: Deckel drauf und dann ist da mal Ruhe.

00:13:32: Jetzt haben wir gerade 35 Jahre. Und dann sage ich: Nee.

00:13:36: Dann fragen die: Na, wie lange denn noch?

00:13:38: Das kann man nicht sagen.

00:13:39: Es sterben natürlich viele gerade.

00:13:40: Ich meine, wir reden über einen Zeitraum von 40 Jahren.

00:13:43: Aber die jüngste Generation,

00:13:45: Sie sprachen das vorhin auch schon mal an, ist die Gruppe der Heimkinder

00:13:49: oder die im Spezial-Kinderheim, in Jugendwerkhöfen eingesperrt waren.

00:13:52: Und das waren die letzten ja in den 80er Jahren.

00:13:54: Also es ist noch eine relativ junge Generation, die uns beschäftigen wird.

00:13:58: Da haben wir noch mit Rehabilitierung zu tun.

00:14:01: Auch da haben wir mit dem verfolgungsbedingten

00:14:03: Gesundheitsschäden zu tun und wir haben auch mit den Angehörigen

00:14:07: oder mit den Kindern der politisch Verfolgten zu tun.

00:14:11: Das ist eine Gruppe, die uns auch stärker noch begleiten wird,

00:14:14: über die wir ja teilweise auch noch nicht genug wissen

00:14:18: und die sich auch Anerkennung und Würdigung wünschen.

00:14:21: Vor allem auch die politisch Verfolgten selber.

00:14:23: Auch gerade die Frauen.

00:14:25: Die wünschen sich auch,

00:14:26: dass ihre Kinder gesehen werden, sagen: Mensch, die waren auch betroffen.

00:14:30: Ich bin ins Gefängnis gekommen, mein Kind ist ins Heim gekommen.

00:14:33: Viele Geschichten sind dann irgendwann gut ausgegangen.

00:14:35: Es gibt aber auch Geschichten, wo ganze Familien auf Dauer

00:14:38: zerstört geblieben sind.

00:14:40: Und auch darüber muss man sprechen und auch die Vermittlung

00:14:44: in die Gesellschaft, zum Beispiel gerade über das, was ich eben gesagt habe.

00:14:48: Auch das wird weiter wichtig bleiben, denn wir wissen,

00:14:51: also gehen Sie mal die Straße lang. Muss man nicht mal an Schulen gehen,

00:14:54: kann man auch Erwachsene fragen.

00:14:56: Das Wissen um die DDR-Diktatur und gerade auch um die politischen Repressionen,

00:15:01: also die Wirkungsweise der Diktatur ist,

00:15:04: glaube ich, noch ein bisschen unterbelichtet in unserer Gesellschaft.

00:15:07: Und auch dafür oder auch dazu soll dieses Amt beitragen.

00:15:12: Nicole: Also im besten Fall gibt es das Amt so lange,

00:15:15: bis da jedem – Gerechtigkeit ist

00:15:18: da vielleicht ein großes Wort –, aber jedenfalls

00:15:21: so was in der Art widerfahren ist.

00:15:22: Evelyn Zupke: Ja, wir können ja, wie gesagt, Wiedergutmachung, Gerechtigkeit,

00:15:26: das sind immer schöne Wörter.

00:15:27: Würde ich auch sofort unterschreiben, wenn das möglich wäre.

00:15:30: Man kann Gerechtigkeitslücken schließen.

00:15:32: Also mit Sicherheit. Da sind wir dran.

00:15:35: Aber ich denke, wir können das, was geschehen ist, nicht ungeschehen machen.

00:15:39: Wir können es nicht wiedergutmachen.

00:15:42: Aber wir können das,

00:15:43: was den Menschen geschehen ist, lindern, das Leid lindern, auch im Nachhinein.

00:15:47: Und dazu gehört einerseits die öffentliche Würdigung.

00:15:50: Wir bekommen jetzt das Mahnmal für die Opfer des Kommunismus, hier

00:15:54: ganz unweit, zwischen Bundestag und Bundeskanzleramt.

00:15:57: Das ist wichtig.

00:15:58: Aber ich sag mal, es sind zwei Seiten einer Medaille:

00:16:01: Einerseits die öffentliche Würdigung, das Gedenken, auf der anderen Seite

00:16:04: die konkreten Unterstützungsmaßnahmen, weil sonst ist auch das Gedenken

00:16:08: und die Würdigung halt wie eine leere Hülle.

00:16:11: Und Fakt

00:16:12: ist natürlich auch, dass wir es immer nur mit einem Teil der Menschen zu tun haben.

00:16:15: Wir wissen,

00:16:17: wir wissen aus Erfahrung auch gerade zum Beispiel Hoheneck,

00:16:20: dass Menschen manchmal erst nach 40, 50, 60 Jahren

00:16:24: sogar sich mit diesem Teil ihrer Geschichte auseinandersetzen.

00:16:28: Eines der ältesten Opfer der Frauen von Hoheneck, die ist jetzt bald 100.

00:16:32: Und

00:16:33: auch bei der Eröffnung mit Bundespräsident

00:16:36: Steinmeier waren wieder Frauen da, die noch niemals da gewesen sind.

00:16:40: Und dann trauen sie sich das zu.

00:16:42: Und dann müssen Menschen da sein, die sie auffangen,

00:16:44: weil sie das nämlich gar nicht schaffen, weil dann kommt alles wieder hoch.

00:16:48: Und mit dieser Gruppe haben wir es auch weiter natürlich zu tun. Mit der Gruppe,

00:16:51: die noch aus dem Schatten tritt und das Schweigen bricht.

00:16:55: Wir haben es natürlich

00:16:56: auch mit Menschen zu tun und die sich niemals mit diesem

00:16:59: Teil ihrer Geschichte, ihrer Biografie auseinandersetzen wollen.

00:17:02: Das muss man auch respektieren und man kann sie nur ermutigen, das zu tun.

00:17:06: Aber ja, es muss natürlich jeder für sich entscheiden.

00:17:10: Nicole: Wir sprechen hier kurz vor dem

00:17:11: 35. Jahrestag des Mauerfalls.

00:17:13: Haben Sie eben auch schon gesagt. Wie und wo haben Sie an dem Tag

00:17:16: die unglaubliche Nachricht mitbekommen?

00:17:20: Evelyn Zupke: Ja, ich habe so eine langweilige Geschichte darauf zu erzählen.

00:17:22: Ich wünschte mir, ich hätte

00:17:24: mir beim ersten Mal, als mich das jemand gefragt hat, was ausgedacht.

00:17:28: Also es war ja so, ich war in der Opposition tätig und wir haben ja

00:17:32: gearbeitet, die meisten, viele von uns hatten Kinder

00:17:35: und alles was wir gemacht haben, auch gerade im Herbst oder vom Frühjahr

00:17:39: an bis zum Mauerfall,

00:17:41: war wirklich nachts, abends, Wochenenden.

00:17:45: Wir waren also ständig übermüdet und gerade im Oktober

00:17:49: war ja eine ganz heiße Zeit auch gerade hier,

00:17:51: als wir diese Protestaktion auf dem Alexanderplatz hatten,

00:17:55: im Sommer, im September dann im Oktober,

00:17:58: sodass ich tatsächlich bei der Pressekonferenz,

00:18:01: bevor die wichtigen Worte, die wichtigsten Worte gesagt wurden, eingeschlafen bin.

00:18:05: Und das ist meine Geschichte

00:18:07: konkret zum Mauerfall am

00:18:10: 9. November.

00:18:11: Aber ich habe es dann natürlich mitbekommen und bin dann am nächsten Tag

00:18:15: auch über die Bornholmer Brücke gegangen.

00:18:18: Nicole: Danke, dass Sie das geteilt haben.

00:18:19: Die Geschichte, die nicht langweilig ist, weil Sie ja noch mal einen einsortieren,

00:18:23: auch damit, wie anstrengend die Zeit einfach war, die im Grunde am 9.

00:18:27: Oktober nicht begann, aber die heiße Phase begann und

00:18:30: was das Sie an Einsatz auch gekostet hat.

00:18:33: Danke, dass Sie es geteilt haben und vielen Dank überhaupt,

00:18:36: dass Sie sich die Zeit genommen haben, Frau Zupke.

00:18:39: Evelyn Zupke: Gerne.

00:18:40: Nicole: Und euch, danke fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal beim Podcast

00:18:43: von mitmischen.de, dem Jugendportal des Deutschen Bundestages.

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